Polizei, Repression und nachhaltiger Aktivismus – Für einen solidarischen Umgang mit Gewalterfahrungen

 
TG: Polizeigewalt, Trauma
 
Massive Polizeigewalt und verletzte Aktivist*innen am 10.04.21 in Oldenburg und am 12.04.21 in Syke 12.04
Am 10.04.21 riefen wir zu einem Gegenprotest gegen die „Querdenken“ Veranstaltung in Oldenburg auf. Am 12.04.21 mobilisierten wir gemeinsam mit der Jugendantifa Syke und Bremer Gruppen nach Syke. Dort kam es in der vergangen Woche (05.04.21) zu einem Naziangriff mit mehreren Verletzten. Gleichzeitig wollte der sogenannte „Lichtermarsch“, ein Ableger der deutschlandweiten verschwörungsideologischen und antisemitischen Corona-Rechten Bewegung, wieder eine Demonstration in Syke durchführen. Beide Tage haben eine gemeinsame Folge gehabt: Massive Polizeigewalt und verletze Aktivist*innen.
 

Es sind Gewalterfahrungen mit denen leider immer zu rechnen ist, wenn es um linke Demonstrationen geht und dennoch sind es auch immer wieder die gleichen Erfahrungen, die vorallem im Nachhinein viele nicht schlafen lassen, die dazu führen, die gleichen Szenen und Bilder im Kopf zu haben und einen in Panik versetzen. Sich gegen Nazis und die Polizei zu stellen bedeutet, neben den weiteren inhaltlichen Aspekten, auch immer gegen eine gewisse Ohnmacht anzukämpfen, die dieser Staat und die kapitalistischen Verhältnisse reproduzieren. Und gleichzeitig kann es wiederum zu Ohnmacht und Hilflosigkeit kommen, wenn man selbst oder andere der direkten Gewalt und Willkür der Polizei ausgesetzt ist. 
 
Warum es wichtig ist, sich mit genau dieser Ohnmacht und Hilflosigkeit ausseinander zu setzen, warum im Nachinhein ein „wir bleiben stark“ nicht reicht und was das Ganze auch mit einer feministischen Praxis zu tun hat, erklären wir in unserem Text.
 
Polzeigewalt als strukturelles Problem
Dass die Polizei gewaltsam gegen Linke Demonstrant*innen vorgeht, ist ein strukturelles Problem. Eine Institution, die darauf aufbaut, Macht auszuüben und nach unten zu treten, wird dies erst recht tun, wenn sie einer Gruppe von Personen gegenüber steht, die für sie ein Feindbild darstellt.
 
Das Oldenburger BFE zum Beispiel, ist überregional bekannt dafür, gewaltsame Auseinandersetzungen anzustacheln und Situationen eskalieren zu lassen. Sowohl für das, was in Syke, als auch das, was in Oldenburg am Wochenende passiert ist, ist das Oldenburger BFE verantwortlich.
 
Gewalt und Repression durch die Polizei verfolgen unter anderem das Ziel, Aktivist*innen einzuschüchtern und handlungsunfähig zu machen. Selbstschutz vor einem Angriff durch die Polizei kann schnell und willkürlich als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen“ angezeigt werden und inzwischen auch mit Haftstrafen bestraft werden. Auch gegen Polizist*innen vor Gericht vorzugehen, ist beinahe unmöglich, da sich Cops gegenseitig schützen und nur selten gegeneinander Aussagen werden (Stichwort Korpsgeist). 
 
Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir Wege finden, solidarisch miteinander umzugehen und das Erlebte gut aufzuarbeiten. Es kommt nicht darauf an, Stärke zu beweisen, wenn wir von Polizeigewalt betroffen sind. Es geht darum, sich gegenseitig bestmöglich zu unterstützen und Gewalterfahrungen aufzuarbeiten.
 
Was könnt ihr jetzt tun? An wen könnt ihr euch wenden?
Gewalterfahrungen können (müssen aber nicht) zu längerfristigen Belastungen oder sogar zu einem Trauma führen. Dabei ist die Reaktion auf solche Erfahrungen teilweise sehr unterschiedlich. Deshalb muss eine Unterstüzung der Betroffenen solidarisch und nach den jeweiligen Bedürfnissen der Personen geschehen. Grundlegend muss dafür ein Raum geschaffen werden, indem Betroffene sich äußern können, Ängste und Erfahrungen nicht tabuisiert und klein geredet werden. Ist ein solcher Raum nicht gegeben, führt das nicht selten dazu, dass sich Menschen alleine gelassen fühlen, sich die belastende Sitaution verschlimmert und die Personen sich aus dem politischen und persönlichen Umfeld zurückziehen. 
 
Bevor ihr über das Erlebte sprecht, ist es sinnvoll, Gedächtnisprotokolle anzufertigen. Diese solltet ihr alleine schreiben, damit ihr auch wirklich das aufschreibt, woran ihr euch erinnern könnt. Gedächtnisprotokolle sollten möglichst schnell nach einer Erfahrung geschrieben werden, dann steht ihr nicht unter Druck, euch später an alles erinnern zu müssen und Personenbeschreibungen sind detaillierter. Gedächtnisprotokolle können nach verschiedenen Situationen hilfreich sein, so zum Beispiel auch nach einer Hausdurchsuchung, einer Festnahme oder auch nach Anquatschversuchen. Ausführlichere Infos dazu, was in einem Gedächtnisprotokoll enthalten sein sollte und was nicht, findet ihr hier: https://antirepression.noblogs.org/polizeikontakt/gedaechtnisprotokolle/
 
Nach Situationen in denen ihr selbst oder andere, Polizeigewalt erlebt habt, ist es wichtig, dass niemand alleine gelassen wird. Trefft euch auch als Bezugsgruppe und auch in einem größeren Kontext, um das Erlebte besprechen zu können. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass nicht alle jederzeit über das Erlebte sprechen können und möchten. Das muss von der Gruppe respektiert und ein anderer Umgang, der für diese Person passt, gefunden werden. 
 
Achtet im Gespräch darauf, dass alle die möchten, die Möglichkeit bekommen vom Erlebten zu erzählen, aber auch darauf, dass niemand unter Druck gesetzt wird, erzählen zu müssen. 
Besprecht in eurer Bezugsgruppe und/oder mit den Personen mit denen ihr unterwegs wart, wie die Situation für sie war. Themen über die gesprochen werden sollten, sind zum Beispiel: Was habt ihr erlebt? Wie ging es euch in der Situation? Wie geht es euch danach? Was lief gut in der Gruppe und was hättet ihr euch von den anderen gewünscht?
 
Aus der letzten Frage ergeben sich dann Fragen für die nächste Aktion, zum Beispiel, wie können wir besser untereinander kommunizieren, wollen wir bei der nächsten Aktion anders an so eine Situation herangehen?
 
Support
Ihr müsst eure Erfahrungen nicht unbedingt alleine in der Gruppe aufarbeiten. Es gibt verschiedenen Strukturen, die euch dabei helfen können. In einigen Städten gibt es Out of Action Gruppen die ansprechbar sein können, wenn ihr weiteren Redebedarf habt, oder die auch ein Treffen der Bezugsgruppe moderieren können, falls das nötig sein sollte. Falls das für euch keine Option sein sollte, könnt ihr z.B. auch Freund*innen fragen denen ihr vertraut und mit ihnen das Gespräch suchen. Auch wenn ihr selbst nicht direkt betroffen gewesen seid, kann es hilfreich sein, mit einer außenstehenden Person über das Erlebte zu sprechen. Das sollte in Absprache mit der Bezugsgruppe und unter vorher festgelegten Rahmenbedingungen stattfinden.
 
Falls ihr nach einer Aktion Post bekommt, wendet euch am Besten an eure örtliche EA Struktur, an die Rote Hilfe oder die Rechtshilfe hier in Oldenburg. Sie können euch beratend zur Seite stehen, Kontakt zu Anwält*innen vermitteln und bei Repressionskosten unterstützen.
 
Vor der nächsten Aktion
Es ist grundsätzlich wichtig, dass ihr euch vor Aktionen mit den Leuten besprecht, mit denen ihr unterwegs sein werdet. Besprecht, wie es euch aktuell geht und was ihr euch für den jeweiligen Tag zutraut. Sprecht auch deutlich aus, was ihr euch nicht zutraut, oder welche Situationen ihr vermeiden wollt und wo eure persönlichen Grenzen liegen (auch In Bezug auf euren Umgang mit der Polizei). Dann kann die gesamte Bezugsgruppe darauf achten, sich nach Möglichkeit rechtzeitig zurück zu ziehen. Eure Grenzen sind nicht immer die gleichen und es ist voll okay, sich auch Mal zurück zu halten und zum Beispiel nicht direkt in den ersten Reihen dabei zu sein, auch wenn ihr das sonst regelmäßig macht. Nicht die lauteste Person bestimmt, was die Bezugsgruppe den Tag über machen wird, sondern die Entscheidung sollte konsensuell in der Grupppe getroffen werden und niemand sollte zu Handlungen überredet werden.
 
In den meisten Fällen ist es nicht mit einem Gespräch in der Bezugsgruppe getan, seid deswegen für euch gegenseitig ansprechbar, ein kurzer Spaziergang kann hilfreich sein um einen Anlass zu haben, weiter über das Erlebte zu sprechen, ohne dass andere Personen das Gespräch stören. Wenn Personen eine Pause brauchen, ist das voll in Ordnung, bindet die Person nach Absprachen was okay ist weiter ein und versucht, einen möglichst sicheren Wiedereinstieg zu ermöglichen. Fragt die betroffenen Personen, was sie brauchen und respektiert ihre Bedürfnisse.
 
Es kann helfen, wenn ihr euch damit auseinander setzt, was ein Trauma ist und wie Personen mit traumatischen Erfahrungen oder Gewalterfahrungen auf das Erlebte reagieren könnten und wie ihr eure Freund*innen am besten unterstützen könnt.
Eine gute Grundlage hierzu ist eine Broschüre von der Out of Action Struktur: „Über traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt und wie wir da wieder rauskommen“. Auf dem Blog von Out of Action findet ihr außerdem weitere Literaturtipps und Materialien, die einen Umgang erleichtern können.
 
Emo/Care Work in der (Bezugs-)gruppe oder wie eine feministische Praxis aussieht
Dass sich das Mackertum in der Antifa Szene tümmelt, ist nicht Neues. Dieses Verhalten muss immer wieder kosequent kritisieren werden. In der Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit gewaltvollen Erfahrungen heißt das konkret, dass gewaltvolle Erfahrungen nicht klein geredet werden, aber auch, dass diese nicht am Ende als Held(*innen)geschichten herhalten. Wer kennt sie nicht, die Geschichten, wie stark und militant man die ganze Sache doch durchgezogen habe. Solche Dynamiken verhindern per se eine gute Reflexion der Geschehnisse – lassen keinen Raum für Ängste und Unsicherheiten. 
 
Nach Gewalterfahrungen braucht es zur Verarbeitung eine andere Art der Stärke und kein Mackertum. Es braucht Mut und Kraft, sich Unterstützung zu holen, über die eigene psychische Lage zu sprechen und sich selbst einzugestehen, dass das Erlebte vielleicht doch krasser war als gedacht und man alleine aktuell vielleicht nicht damit klar kommt. 
 
Andererseits, wenn Menschen sich öffnen, um über gewaltvolle Erfahrungen, Ängste und Unsicherheiten zu reden, werden meistens als erstes FLINTA+ Personen als Ansprechpartner*innen gesucht. Sich nahestehenden Menschen anzuvertrauen ist erstmal nicht falsch oder problematisch. Dennoch sollte sich auch hier immer wieder angeschaut werden, welche Personen diese Arbeit übernehmen. Dabei muss sich klar gemacht werden, dass jede Form der Unterstützung auch ein Teil der politischen Arbeit ist und diese Arbeit nicht einfach so neben her passiert. Ein Weg wäre, sich den Prozess in der Gruppe anzuschauen und die emotionale Arbeit nicht als private Angelegenheit zu deklarieren. Schaut euch an, wer in der Gruppe für wen da ist. Wen ihr vielleicht selbst als Ansprechpartner*innen habt und wen nicht. Fragt auch die Unterstützer*innen, wie die Situation für sie gerade ist. Ob auch sie Unterstützung oder eine Pause brauchen. Frage dich auch selbst als untersützende Person, wie es dir gerade mit der Situation geht. 
 
Nachhaltiger Aktivismus
Um nachhaltig aktiv sein können, ist sehr viel Arbeit nötig. Es ist euch und anderen nicht damit geholfen, wenn ihr euch ausbrennt. Achtet auf euch und auf andere, versucht euch nach euren Möglichkeiten gegenseitig zu unterstützen. Wenn ihr an eure Grenzen kommt ist es voll okay, nach Hilfe zu fragen oder sich anderweitig Unterstützung zu suchen. Auch damit könnt ihr euch und euer Umfeld entlasten.    
    
 
Weiterführende Texte und Bücher:
– Wege durch die Wüste: Ein Antirepressionshandbuch für die politische Praxis 
– Blog von Out of Action: https://outofaction.blackblogs.org/